Michael Schaepman (59) studierte und promovierte an der UZH. Nach Forschungs­aufenthalten in den Niederlanden und den USA kehrte er 2009 als Professor für Fern­erkundung an seine Heimuniversität zurück. 2014 wurde er zum Prodekan und 2016 zum Dekan der Mathematisch-naturwissen­schaftlichen Fakultät ernannt. Als Mitglied der Universitäts­leitung war er von 2017 bis 2020 für die Bereiche Forschung, Innovation und Nachwuchs­förderung zuständig, seit 2020 ist er Rektor der UZH.
Michael Schaepman (59) studierte und promovierte an der UZH. Nach Forschungs­aufenthalten in den Niederlanden und den USA kehrte er 2009 als Professor für Fern­erkundung an seine Heimuniversität zurück. 2014 wurde er zum Prodekan und 2016 zum Dekan der Mathematisch-naturwissen­schaftlichen Fakultät ernannt. Als Mitglied der Universitäts­leitung war er von 2017 bis 2020 für die Bereiche Forschung, Innovation und Nachwuchs­förderung zuständig, seit 2020 ist er Rektor der UZH.

Die Präsidentin des Universitäts­rats und der Rektor der UZH im Gespräch

«Unabhängigkeit ist das höchste Gut»

Bildungs­direktorin Silvia Steiner und UZH-Rektor Michael Schaepman diskutieren im Inter­view über inter­diszipli­näre Vielfalt, die Zukunft des Medizin­studiums, die Ankunft der Kantons­schule Zürich Nord auf dem Campus Irchel, inter­nationale Bezieh­ungen und die Rolle der UZH in der Gesell­schaft.

Frau Steiner und Herr Schaepman, warum ist interdisziplinäre Vielfalt in der Bildung so wichtig?

Silvia Steiner: Ohne interdisziplinären Ansatz geht heute gar nichts mehr. Probleme nur aus Sicht einer Disziplin anzuschauen, greift viel zu kurz. Die Wirklichkeit hält sich nicht an Fachgrenzen. Wir wollen unsere jungen Leute befähigen, komplexe Fragen zu verstehen und mehrschichtige Lösungen dafür zu finden. Sie müssen in der Lage sein, ihr Wissen in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Das gilt für alle Stufen – von der Schule bis zur Universität.

Michael Schaepman: Wer unterschiedliche fachliche Denkweisen miteinander verknüpft, wird offener, resilienter, kreativer und lernbereiter. Das sind grund­legende Fähigkeiten in einer Zeit, in der einmal gelerntes Wissen immer schneller überholt wird.

Silvia Steiner (67) studierte Rechts­wissenschaften an der UZH und promovierte an der Universität Lausanne. Die Mitte-Politikerin war Staatsanwältin und Polizei­offizierin und ist seit 2015 Regierungsrätin des Kantons Zürich und Vorsteherin der Bildungsdirektion. Bis Ende 2024 war sie Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungs­direktorinnen und -direktoren (EDK). Seit 2024 ist sie Co-Vizepräsidentin der Schweizerischen Hochschul­konferenz (SHK). Als Bildungs­direktorin ist sie zugleich Präsidentin des Universitätsrats der UZH.

«Wer unterschiedliche fachliche Denkweisen verknüpft, wird offener, resilienter, kreativer und lernbereiter.»

Michael Schaepman

Ergibt sich Interdisziplinarität von selbst oder muss sie aktiv gefördert werden?

Steiner: Man muss dieses Denken aktiv fördern. Was hilft mir mein Spezial­wissen, wenn ich nicht einmal weiss, wie ich es fach­fremden Menschen verständlich erklären kann? Dann bleibt das Wissen isoliert und nützt der Gesell­schaft nichts. Es ist eine Führungs­aufgabe, gute inter­disziplinäre Forschungs­gefässe und Bildungs­angebote zu schaffen. Die UZH hat da in den letzten Jahren vieles auf den Weg gebracht, zum Bei­spiel die School for Trans­disciplinary Studies oder Studien­programme in fach­übergreif­enden Bereichen wie Bio­diversität oder Digital Skills.

Schaepman: Der Trend zu inter­disziplinären Ansätzen ist sowohl nachfrage- als auch angebots­getrieben. Viele Studierende erkennen den Mehrwert, den inter­disziplinäre Perspektiven für ihre Ausbildung und die spätere Berufs­laufbahn bieten. Gleichzeitig erweitert die UZH ihr Angebot an inter­disziplinären und auch inter­nationalen Formaten. Beispiele dafür sind die praxisnahen Future-Skills-Kurse oder die im Rahmen der Hoch­schul­allianz Una Europa ent­wickelten Joint-Bachelor-Programme in European Studies und Sus­tain­ability sowie neu geschaf­fene Studien­gänge in Bio­medizin, Wirt­schaft­schemie, Erd­system­wissen­schaften oder evo­lutio­närer Sprach­wissen­schaft.

Wie lassen sich fachliche Tiefe und inter­disziplinäre Breite in der Lehre vereinbaren?

Schaepman: Das Zusammen­­spiel lässt sich mit der Theorie der «T-shaped skills» ver­an­­schaulichen: Die vertikale Achse des T steht für die Tiefe der Ex­pertise in einem Fach­­gebiet, während die hori­­zontale Achse die Breite an über­­fach­lichen Kom­petenzen sym­bolisiert. Diese Kom­bination ist im Berufs­­leben zu­nehmend gefragt. Stud­ierende können an der UZH je nach Wahl ihrer Studien­programme oder Module unter­­schiedliche Ak­zente in «ihrem» jeweiligen T setzen.

«Der digitale Wandel ist ein Antrieb für die interdisziplinäre Zusammenarbeit.»

Silvia Steiner

Erleichtert die digitale Trans­formation die Inter­disziplinarität?

Steiner: Der digitale Wandel ist ein klassisches Quer­schnitts­thema und ein starker Antrieb für die inter­dis­ziplinäre Zusammen­arbeit. Methodisch erleichtert er den Austausch, da alle Fach­richtungen auf den­selben digi­talen Werk­zeug­kasten zugreifen. Die Digi­tali­sierungs­ini­tiative der Zürcher Hoch­schulen (DIZH) und die Digital Society Initiative der UZH (DSI) zeigen vorbildlich, wie sich der digitale Wandel analysieren und aktiv mit­gestalten lässt – durch fächer­über­greifende Zusammen­arbeit, auch mit anderen Hoch­schulen.

Schaepman: Digitale Tech­nologien fördern die Ver­netzung – sowohl zwischen Menschen als auch zwischen wissen­schaftlichen Dis­ziplinen. Sie er­weitern die Be­züge zwischen vormals iso­lierten Wissen­schafts­feldern und eröffnen damit neue Kombi­nations­möglichkeiten – auch in der Lehre. Dies zeigt sich zu­nehmend bei den digit­alen Studierenden­plattformen, die wir derzeit an der UZH aufbauen. Diese Platt­formen ermöglichen es den Stud­ierenden, ihr Studium künftig nicht nur flexibler und individ­ueller zu planen und zu gestalten, sondern eben auch stärker inter­disziplinär auszurichten.

«Die fundamentale Bedeutung der Grundlagenforschung für Innovationen wird häufig unterschätzt.»

Michael Schaepman

Obwohl die Inter­disziplinarität viel Wert­schätzung geniesst, beziehen sich Karriere­modelle und Mess­standards in der Wissen­schaft immer noch stark auf Einzel­disziplinen. Lässt sich dies ändern?

Schaepman: Die UZH ist 2024 aus dem Times Higher Education (THE) Ranking aus­gestiegen und prüft, sich auch aus einer Reihe weiterer Hoch­schul­rankings zurück­zu­ziehen. Viele Rankings beurteilen wissen­schaft­liche Leistungen einseitig und gewichten bei­spiels­weise Quantität höher als Qualität. Dadurch ent­stehen falsche Anreize in der Wissen­schaft. Das müssen wir nicht einfach hin­nehmen. Uni­versi­täten können andere An­reize setzen. Viele tun das bereits, indem sie mit gezielten Förder­instru­menten eine offene Wissen­schafts­kultur unter­stützen. Die UZH nimmt in diesem inter­nationalen Trend eine Vor­reiter­rolle ein. Unsere Nachwuchs- und Forschungs­förder­programme ermutigen junge Forschende, sich fach­über­greifend zu vernetzen. Ein Bei­spiel sind die Uni­versi­tären Forschungs­schwerpunkte (UFSP), die aus­schliesslich inter­disziplinäre Projekte fördern. Diese Programme sind hoch­kompetitiv, geniessen inter­nationale An­er­kennung und ziehen daher besonders talentierte Nach­wuchs­forschende an. Wissen­schaft­lerinnen und Wissen­schaft­ler, die aus diesen Pro­grammen hervorgehen, sind häufig nicht mehr in nur einem Fach­bereich zu Hause. Sie bewegen sich selbst­verständlich zwischen Dis­ziplinen und tragen mit dieser offenen Hal­tung viel zur Weiter­ent­wicklung der Wissen­schafts­kultur an der UZH und darüber hinaus bei.

Acht Uni­versi­täre Forschungs­schwerpunkte (UFSP) sind 2024 nach zwölf Jahren aus­gelaufen. Wie sollte es Ihrer Ansicht nach mit dieser Förder­linie weiter­gehen, Frau Steiner?

Steiner: Was die Inhalte zu­künf­iger Schwer­punkte an­belangt, werde ich mich hüten, einen Wunsch zu äussern. Die Forschungs- und Lehr­freiheit ist mir heilig. Ich sage aber gern, dass ich die UFSP als Förderungs­modell für aus­ge­zeichnet und für zukunfts­weisend halte – eben weil sie die Inter­disziplinar­ität fördern.

Wie wichtig ist Grund­lagen­forschung für Inno­vationen?

Schaepman: Das primäre Ziel der Grund­lagen­forschung ist es, die Welt besser zu verstehen – nicht aber, ein neues Produkt zu entwickeln. Und doch steht Grund­lagen­forschung am Anfang jeder Wert­schöpfungs­kette. Wie funda­mental ihre Bedeutung für Inno­vationen ist, wird häufig unter­schätzt, weil sie ergebnis­offen ist und selten eine gerade und vorher­sagbare Linie von der wissen­schaft­lichen Erkenntnis zur prak­tischen An­wendung führt. Ein Beispiel: Früher waren Telefone kabel­gebunden und Fernseh­geräte waren mit Antennen versehen – heute ist es um­gekehrt. Hinter diesem schein­bar einfachen Wandel steckt jahr­zehnte­lange Grund­lagen­forschung. Es ist kaum vorher­seh­bar, welche Ver­knüpfungen von Ideen und Er­kennt­nissen am Ende zu erfolg­reichen Er­findungen oder Firmen­gründungen führen. Aber dort, wo inten­sive und inter­disziplinäre Grund­lagen­forschung betrieben wird, steigen die Chancen auf erfolg­reiche An­wen­dungen. Dies zeigt sich auch an der UZH: Sehr viele unserer erfolg­reichen Start-ups sind aus der Grund­lagen­forschung hervor­gegangen.

 

Steiner: Wo Ideen aus verschie­denen Zweigen der Grund­lagen­forschung zusammen­fliessen und auf Unter­nehmer­geist treffen, ent­stehen gute Be­dingungen für Inno­vationen. Für den Kanton Zürich ist es eine sehr viel­ver­sprechende Nachricht, dass sich das Raumfahrt-Konsortium Starlab Space im Innovations­park in Düben­dorf ansiedeln wird – dort, wo auch die UZH mit dem Space Hub inter­disziplinäre Welt­raum­forschung betreibt.

«Die Schweiz muss mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden – das ist eine breit anerkannte Notwendigkeit.»

Silvia Steiner

Kommen wir zu einem anderen, ebenfalls zukunfts­relevanten Thema: Die UZH plant eine Reform des Medizin­studiums, was ist das Ziel?

Steiner: Die Schweiz muss mehr Ärzt­innen und Ärzte aus­bilden – das ist eine an­erkannte Not­wendigkeit. Der Universitäts­rat hat die UZH be­auftragt, im Rahmen des Projekts «Med500+» ab­zuklären, wie die Zahl der Medizin­studien­plätze bei un­ver­minderter Aus­bildungs­qualität um 270 erhöht werden kann. Gleich­zeitig wird das Medizin­studium neu ausgerichtet. Es soll den heutigen An­forderungen gerecht werden: mit stärkerem Praxis­bezug, weniger Frontal­unterricht und mehr inter­aktiven Formaten. Ziel ist eine Aus­bildung, die nicht nur Fach­wissen vermittelt, sondern auch einen ganz­heitlichen Blick auf Mensch und Gesundheit ermöglicht – und die Studierenden schon früh ins klinische Denken und Handeln ein­führt.

 

Schaepman: Die Reform des Medizin­studiums gibt auch Ant­wor­ten auf die rasanten Ent­wicklungen in der moder­nen Medizin. Eine der Heraus­forderungen, die sich dabei stellt, ist der Trend zu ambu­lanten Behand­lungen. Statio­näre Behand­lungen er­mögli­chen es Studie­renden, am kon­kreten Fall über längere Zeit hin­weg zu be­obach­ten, welche Wir­kungen medi­zinische Eingriffe haben. Ambu­lante Behand­lungen hingegen er­schweren es, diese grund­legende prak­tische Erfah­rung zu machen. Um dies aus­zuglei­chen, setzt die UZH auf Si­mu­lationen, digitale Trainings und künst­liche Intelli­genz. Das ersetzt den direk­ten Patienten­kontakt nicht, aber es ergänzt ihn und stärkt den klini­schen Teil des Medizin­studiums.

Wie lässt sich eine Auf­stockung der Studien­plätze in der Medizin mit mehr Praxis im Studium vereinbaren?

Steiner: Dafür braucht es aus­reichend Praktikums­plätze in Spitälern und Arzt­praxen – eine Heraus­forderung, die nur in enger Zusammen­arbeit mit den uni­versitären Spitälern und weiteren Gesundheits­institutionen gemeistert werden kann. In den letzten Jahren haben wir dafür wich­tige Grund­lagen geschaffen. Auf gesetz­licher Ebene mit der erneuer­ten «Verordnung über die Forschung und Lehre der Uni­versität im Gesund­heits­bereich» (VüFL), auf struktu­reller Ebene mit dem Netzwerk Universitäre Medizin Zürich (UMZH), das sich als starkes Binde­glied zwischen Universität und Spitälern etabliert hat. Diese enge Ver­netzung ist ent­scheidend für den Erfolg der Reform – mit Strahl­kraft über Zürich hinaus.

«Über 2000 Schülerinnen und Schüler haben auf dem Irchel-Campus die grossartige Gelegenheit, Hochschulluft zu schnuppern.»

Silvia Steiner

Im Sommer 2024 hat die Kantonsschule Zürich Nord planmässig zwei für sie umgebaute Gebäude am Campus Irchel bezogen. Was sind die ersten Erfahrungen?

Steiner: Der Auftakt war sehr fröhlich und zugleich eindrucks­voll: Hunderte von Schülerinnen und Schülern der Kantons­schule Zürich Nord mar­schierten mit der ganzen Lehrer­schaft im Rahmen einer bewilligten Demonstra­tion von ihrem alten Standort auf den Irchel-Campus. So etwas gab es noch nie. Es war ein Umzug im doppel­ten Wortsinn. Für die über 2000 Schülerinnen und Schüler ist das Projekt eine gross­artige Gelegen­heit, Hochschul­luft zu schnuppern. Und für die UZH ist es die beste Werbung. Die Rück­meldungen waren bisher sehr positiv. Die UZH zeigt sich als gut vor­bereitete und tole­rante Gast­geberin, was mich sehr freut. Und für die Ver­netzung der Bildungs­stufen bieten sich gross­artige Chancen. Die Kantons­schule Zürich Nord ist das erste von fünf Zürcher Gymnasien, die bis 2033 gestaffelt auf den Campus Irchel ziehen. Dank der Zwischennutzung zweier Irchel-Gebäude können wir bis 2033 alle fünf Kantons­schulen baulich instand setzen.

Schaepman: Der Einzug der Kantons­schule Zürich Nord am Irchel verlief fast reibungs­los, was angesichts des Umfangs dieses Projekts erstaunlich ist. Im Alltag wächst die neue Irchel-Gemeinschaft Schritt für Schritt zusam­men und es entwickeln sich viel­versprechende gemein­same Projekte wie etwa der Austausch über Unterrichts­ideen. Beson­ders viel­versprechend ist das geplante Lehr-Lern-Projekt zur Karto­grafie der Milch­strasse: Auf dem Dach eines Irchel-Gebäudes soll ein Radio­teleskop installiert werden, das von Gym­na­siastinnen und Gym­na­siasten, Studie­ren­den und Forschen­den genutzt werden kann. Gemein­sam werden sie Signale aus dem Weltall em­pfangen und analysieren.

«Die UZH stärkt ihre Fähigkeit, eigenverantwortlich und unabhängig auf internationaler Ebene zu agieren.»

Michael Schaepman

Womit wir den Irchel-Campus verlassen und den Blick – wenn schon nicht ins Welt­all, so doch immerhin nach Europa – wenden: Forschende in der Schweiz können ab Januar 2025 wieder an Aus­schreibungen des Forschungs- und Innovations­programms Horizon Europe teilnehmen. Wie bewerten Sie das?

Steiner: Das ist ein bedeutender Schritt für die Forschenden an der UZH und in der ganzen Schweiz. Die ERC Grants sind ja nicht nur eine wichtige Finanzierungs­quelle, sondern auch ein Qualitäts­label, das Forschenden inter­nationale Sicht­barkeit verschafft. Wer einen ERC Grant erhält, kann sich in einem hoch­kompetitiven inter­nationalen Umfeld beweisen. Der Bundes­rat hat sehr gut verhandelt. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht, dass er keine Kom­promisse bei der Zu­lassung zum Studium gemacht hat – die Schweizer Maturität ist weiter­hin die Voraus­setzung. Damit bleibt die hohe Qualität unseres Bildungs­systems gewahrt.

Schaepman: Sowohl die Schweiz als auch die EU haben ein grosses Interesse an einer engen Forschungs­zusammen­arbeit. Die exzellenten Schweizer Hoch­schulen stärken den Euro­päischen Forschungs­raum, der wiederum für die Schweizer Forschung von grösster Bedeu­tung ist. Um die Di­mensionen zu veran­schaulichen: In meinem Fach­gebiet, der Umwelt­fern­erkundung, würde ich in der Schweiz mit ungefähr zehn bis 15 anderen Forschen­den kon­kurrieren. Durch die Wieder­assoziierung an Horizon Europe springt diese Zahl auf über 1000. Diese Form von euro­päischem Wett­bewerb fördert die Qualität der Forschung. Die volle Assoziierung der Schweiz an die Forschungs­programme der EU bleibt ein sehr wich­tiges Ziel. Diese Programme strahlen weit über die EU hinaus, auch ausser­europäische Länder wie Kanada erhalten Zugang. Während in anderen Teilen der Welt zuneh­mend Barrieren errichtet werden, die den Wissens­austausch einschränken – was mir Sorgen bereitet –, öffnet der Europäische Forschungs­raum viele Türen.

Geopolitische Faktoren beeinflussen zunehmend den globalen Wissens­austausch. Wie wahrt die UZH in der inter­nationalen Zusammen­arbeit ihre Autonomie?

Schaepman: Unser akademisches System basiert auf dem freien Zugang zu Wissen­schaft und Bildung. Daran wollen wir fest­halten, auch wenn Staaten weltweit zu­nehmend Einfluss auf die Zusammen­arbeit und den Wett­bewerb in der Forschung nehmen. Viele inter­nationale Koopera­tionen werden ein­geschränkt oder mit Auf­lagen versehen. Für Uni­ver­sitäten ist es daher anspruchs­voller als früher, die wissen­schaftliche Un­abhängigkeit zu wahren und gleich­zeitig inter­national wett­bewerbs­fähig zu bleiben. Um unsere Ver­antwor­tung in der inter­nationalen Zusammen­arbeit wahr­zunehmen, entwickeln wir Leit­linien, die uns helfen, differen­zierte Ent­schei­dungen für sen­sible Felder zu treffen. Ein Beispiel sind sogenannte Dual-Use-Bereiche, wo die Grenzen zwischen zivilen und militä­rischen An­wendungen zu­neh­mend ver­schwimmen. In inter­disziplinären Arbeits­gruppen – unter Betei­ligung von swiss­universities und des Bundes – erarbeiten wir derzeit einen Handlungs­rahmen, der ethische, rechtliche und politische Aspekte berück­sichtigt. Damit stärken wir unsere Fähig­keit, eigen­verantwortlich und unab­hängig auf inter­nationaler Ebene zu agieren.

«Die Wissenschaft schafft verlässliche und objektive Grundlagen für gesellschaftliche Auseinandersetzungen.»

Silvia Steiner

Worin besteht die gesell­schaftliche Verantwortung der UZH in Zeiten globaler Spannungen?

Steiner: Wir müssen der jungen Generation die richtigen Werk­zeuge mitgeben, damit sie ihre gesell­schaftliche Verant­wortung wahr­nehmen kann. Wir tun dies am besten, indem wir auf all unseren Bildungs­stufen – von der Primar­stufe bis hin zur Universität – nicht nur Spezial­wissen vermitteln, sondern die Menschen befä­higen, kritisch zu denken. So können sie sich gegen Fake News und Mani­pulationen wehren. Eine entschei­dende Rolle spielt ausser­dem auch die Wissen­schaft: Sie schafft verlässliche und objektive Grund­lagen für sachliche, fakten­basierte und kritische gesell­schaftliche Aus­einander­setzungen. Zudem ist es wichtig, dass die Universität ihr Wissen zugänglich macht, ihre Türen offen­hält für die Be­völkerung und auch Platt­formen für öffentliche Debatten bietet. Alle diese fundamen­talen gesell­schaftlichen Auf­gaben kann die Uni­versität aber nur dann erfüllen, wenn sie ihre kriti­sche Distanz und Un­abhängig­keit wahrt. Die Un­abhängig­keit von Forschung und Lehre ist das höchste Gut der Uni­versität. Davon hängt ihre Glaub­würdigkeit ab.

Schaepman: Die UZH bietet einerseits Orien­tierung und wirkt damit als Ruhe­pol in unruhigen Zeiten. Zugleich ist sie ein Ort des leben­digen Austauschs und kontro­verser Debatten, bei denen es gelegentlich auch laut zu- und hergehen darf. Dabei gibt es klare Grenzen. Sie sind über­schritten, wenn gegen ethische Grund­sätze oder die Regeln des gegen­seitigen Respekts verstossen wird oder wenn einzel­ne Grup­pen versuchen, ihre An­sichten auf Kosten anderer durch­zusetzen. Dann wehren wir uns. Die Freiheit zur Meinungs­äusserung ist untrenn­bar mit der Freiheit von Forschung und Lehre verbunden. Themen sollen aus möglichst unter­schiedlichen Perspek­tiven beleuchtet und reflektiert werden. Zwar kann nicht jede einzelne Ver­anstaltung an der UZH alle Stand­punkte abbilden, aber das Gesamt­angebot aller öffent­lichen Ver­anstaltungen wider­spiegelt ein breites Spek­trum an Positionen und Meinungen.

«Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht verhandelbar.»

Michael Schaepman

Die UZH hat ihr Risiko­management modernisiert. Inwiefern trägt dies dazu bei, die Qualität strateg­ischer Ent­scheidungen zu verbessern?

Steiner: Risiken zu managen, bedeutet vor allem, die Verhältnis­mässigkeit geplanter Mass­nahmen auszuloten – ein Ansatz, der mir als Juristin sehr vertraut ist. Die UZH trägt wie jede grosse Orga­nisation viel Ver­ant­wortung und muss Risiken in vielen ver­schiedenen Themen­bereichen professionell und voraus­schauend einschätzen. Grund­sätzlich wurden an der UZH schon bisher weit­reichende Entschei­dungen auf Basis fun­dierter Risiko­analysen getroffen – mit dem Universitäts­rat als Aufsichts­gremium. Neu ist, dass die UZH solche Abwä­gungen struk­turierter als bisher gestaltet. Das schafft Klar­heit und stärkt die Grund­lage für fun­dierte strateg­ische Ent­schei­dungen.

Schaepman: Es gibt an der UZH Tätigkeits­bereiche, in denen grosse Vorsicht geboten ist, und solche, wo man etwas wagen muss. Unser zukunft­weisendes Risiko­management ist ein Werkzeug, das dabei hilft, jeweils an­gemessene Risiko­entscheidungen zu treffen. So sind im Hin­blick auf die Informations­sicherheit strengste Vor­kehrungen nötig, um bei einem Strom­ausfall Daten­verluste zu verhindern. In der Forschungs­förderung hingegen braucht es Mut zum Risiko. Belastet man interes­sante wissen­schaftliche Projekte mit zu vielen Auflagen, riskiert man, jegliche Kreativität zu ersticken. Eine Risiko­analyse kann in diesem Fall helfen, einem gewagten Entscheid den nötigen Rückhalt und damit Freiraum zu verschaffen. Das Risiko­management hilft also nicht nur dabei, Gefahren ein­zuordnen, sondern auch Chancen entschlossen zu nutzen.

Die UZH hat 2024 ein sehr erfolgreiches Fundraising-Jahr verzeichnet. Mit 51 Mio. CHF an verein­barten Spenden hat sie das zweit­höchste Ergebnis seit Bestehen der UZH Foundation erzielt. Warum spenden Menschen für Forschung und Lehre?

Steiner: Oft sind es persönliche Erfahrungen, die eine enge Verbindung zur UZH schaffen. Viele Spender­innen und Spender blicken mit Dank­barkeit auf ihr Studium zurück und möchten der Universität etwas zurückgeben. Viele wollen lang­fristig etwas Gutes für die Gesell­schaft bewirken und unter­stützen deshalb die Forschung und Lehre an der UZH. Finanzielle Zu­wendungen sind ein Zeichen für das hohe Vertrauen in die UZH: Spender­innen und Spender wissen, dass ihre Mittel verant­wortungsvoll eingesetzt werden.

«Bildung ist die wichtigste Ressource, die wir in unserem Land haben, und die Grundlage für eine lebendige Demokratie.»

Silvia Steiner

Was sind die Erfolgs­faktoren im Fundraising?

Schaepman: Vertrauen und Integrität sind ent­scheidend. Die UZH bekennt sich zu hohen Integritäts­standards. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht verhandel­bar, Einfluss­nahmen auf Berufungs­entscheide beispiels­weise lehnen wir strikt ab. Ich bin über­zeugt, dass die UZH gerade wegen dieser klaren Haltung zur aka­demischen Freiheit für Spender­innen und Spender äusserst attraktiv ist. Zudem bleibt die Un­abhängigkeit der UZH durch die öffent­liche Finanz­ierung ihrer Grund­leistungen in Lehre und Forschung gesichert. Spenden sind dabei ein wertvolles Mittel, um über den Grund­auftrag hinaus innovative und gesell­schaftlich relevante Projekte zu realisieren. Ein weiterer Erfolgs­faktor ist die Viel­falt der UZH. Das breite Fächer­spektrum der grössten Voll­universität der Schweiz ermöglicht immer wieder spannende inter­disziplinäre Konstel­lationen, die Spender­innen und Spender sehr ansprechen. So konnten wir 2024 dank einer gross­zügigen Spende ein Forschungs­zentrum zur Untersuchung von Gewalt an Frauen einrichten, das sowohl die Theologie als auch die Natur­wissen­schaften einbindet.

Frau Steiner, was ist Ihr wichtigstes Anliegen an die UZH?

Steiner: Dass die UZH ihre erfolgreiche Entwicklung fortsetzt – immer mit dem Ziel vor Augen, die Un­abhängigkeit von Forschung und Lehre zu wahren und der Gesell­schaft etwas zurück­zugeben. Bildung ist die wichtigste Ressource, die wir in unserem Land haben, und die Grund­lage für eine lebendige Demokratie.

Herr Schaepman, auf welchem Fundament baut die UZH, um ihren Beitrag zur Gestaltung der Zukunft zu leisten?

Schaepman: Unser Fundament ist die Vielfalt. Durch die Ver­bindung unterschied­licher Perspektiven und Fächer schaffen und ver­mitteln wir neues Wissen. Damit engagiert sich die UZH für eine nach­haltige Welt.

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