Interview Forschungs- und Nachwuchsförderung
«Forschung auf lange Sicht voranbringen»
Die neue Förderungslinie «TRANSFORM» beschleunigt strukturelle Entwicklungen an der UZH, und unter dem gemeinsamen Dach der Universitären Medizin Zürich (UMZH) bauen universitäre Spitäler und Hochschulen ein zentrales Datenmanagement auf. Im Interview erklären Beatrice Beck Schimmer, Direktorin UMZH, und Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung, wie die UZH vorgeht, um Forschung nachhaltig zu fördern.
Die UZH setzt bei der Forschungsförderung einen starken Akzent auf Schwerpunkte und Netzwerke. Weshalb?
Elisabeth Stark: Die Mittel für die Forschungsförderung an der UZH sind begrenzt, deshalb wollen wir sie möglichst nachhaltig und wirkungsvoll einsetzen und nicht mit der Giesskanne verteilen. Unser Prinzip ist, Stärken zu stärken. Wir unterstützen gezielt Entwicklungen, die das Potenzial haben, die Forschung an der UZH auf möglichst lange Sicht voranzubringen.
Beatrice Beck Schimmer: Indem wir Schwerpunkte fördern, ermöglichen wir es den Forschenden, Kräfte zu bündeln und Synergien zu nutzen. Neue Technologien und Infrastrukturen sollen möglichst vielen Forschenden zugutekommen. Forschung ist produktiver, wenn Gruppen vernetzt statt parallel zueinander an ähnlichen Fragen arbeiten.
Wer bestimmt, welche Schwerpunkte gefördert werden?
Beatrice Beck Schimmer: Es ist nicht so, dass Schwerpunkte von oben herab definiert würden. In aller Regel kommen die Impulse von den Forschenden selbst. Schwerpunkte kristallisieren sich dort heraus, wo der Effort der Forschenden besonders gross ist. Manchmal spielen in solchen Prozessen zusätzlich auch externe Faktoren eine Rolle. Im Falle der Präzisionsmedizin hat zum Beispiel ein Vorstoss auf Bundesebene – das Swiss Personalized Health Network (SPHN) – dazu beigetragen, dass sich dieses Forschungsgebiet sehr dynamisch entwickelt.
Elisabeth Stark: Die Forschenden wissen selbst am besten, welche Fragen und Themen besonders viel Potential haben. Inhaltlich macht die Universitäre Forschungsförderung deshalb keine Vorgaben. Die Projekte müssen aber interdisziplinär und institutsübergreifend aufgestellt sein, um gefördert zu werden.
Warum werden die Interdisziplinarität und die institutsübergreifende Zusammenarbeit bei der Schwerpunktbildung so stark gewichtet?
Elisabeth Stark: Weil multiperspektivische Ansätze bei komplexen Fragen zu originelleren und produktiveren Ergebnissen führen. Den grossen Herausforderungen unserer Zeit kann man nur begegnen, wenn man über die Fachgrenzen hinausdenkt. Ausserdem tragen interdisziplinäre Forschungsschwerpunkte dazu bei, dass Institute und Fakultäten Ressourcen und Strukturen gemeinsam entwickeln und nutzen.
Beatrice Beck Schimmer: Weil wir unsere Mittel möglichst nachhaltig und wirkungsvoll einsetzen wollen, ist es uns wichtig, dass möglichst viele Forschungsgruppen möglichst langfristig vom Wissen, vom Know-how und von den technischen Einrichtungen profitieren können, die mit den Fördermitteln aufgebaut wurden.
Als Volluniversität mit der grössten Fächervielfalt der Schweiz bietet die UZH den Forschenden gute Voraussetzungen zur interdisziplinären Vernetzung …
Elisabeth Stark: … und mit ihren Forschungsschwerpunkten sorgt sie dafür, dass dieses Potenzial auch tatsächlich genutzt wird.
«Inhaltlich macht die Universitäre Forschungsförderung keine Vorgaben, strukturell aber schon.»
Prorektorin Forschung
Wie stark greift die Universitäre Forschungsförderung in die Entwicklung der Institute und Fakultäten ein?
Elisabeth Stark: Inhaltlich macht sie wie gesagt keine Vorgaben, strukturell aber schon. Wenn Fakultäten für bestimmte Schwerpunktprojekte Fördermittel erhalten, müssen sie dafür sorgen, dass strukturelle Neuerungen, die sich sehr gut bewähren, dauerhaft in der Organisation verankert und finanziert werden – sei es mit Drittmitteln, mit Mitteln aus dem Fakultätsbudget oder einfach in der Professurenplanung – quasi budgetneutral bei Nachbesetzungen durch entsprechende innovative Denominationen. Die Schwerpunktplanung beruht also darauf, dass zentrale und dezentrale Forschungsförderung aufeinander abgestimmt werden. Mit der Governance 2020+ verfügt die UZH über einen geeigneten Rahmen für dieses Modell. Den Fakultäten kommt darin ein hohes Mass an strategischer Eigenverantwortung zu.
Haben Sie Beispiele für dauerhaft profilbildende Strukturen an der UZH, die auf Universitäre Forschungsschwerpunkte zurückgehen?
Elisabeth Stark: Ein frühes Beispiel ist das Asien-Orient-Institut, das 2013 aus dem Zusammenschluss mehrerer Seminare entstanden ist und die Fächer Indologie, Islamwissenschaft, Japanologie und Sinologie und Gender Studies vereint. Den Anstoss dazu gab der ehemalige UFSP «Asien und Europa». Ein zweites Beispiel ist das Functional Genomics Center, das aus dem Universitären Forschungsschwerpunkt Systembiologie hervorgegangen ist. Ein aktuelles Beispiel ist das 2022 gegründete Healthy Longevity Center, das auf Fundamenten aufbaut, die im ehemaligen UFSP «Dynamik Gesunden Alterns» gelegt wurden.
Derzeit fördert die UZH dreizehn Universitäre Forschungsschwerpunkte. Daneben wurde mit TRANSFORM eine neue Förderlinie ins Leben gerufen. Zu welchem Zweck?
Elisabeth Stark: In den letzten Jahren ist es der UZH mehrfach gelungen, mit Hilfe von sogenannten «Forschungsinitiativen» sichtbare Akzente zu setzen und Entwicklungen anzustossen, von denen die Universität insgesamt profitiert, so etwa mit der Digital Society Initiative, kurz DSI. Unter dem neuen Namen «TRANSFORM» haben wir diese Förderlinie nun gestärkt und strategisch klarer ausgerichtet. Der Name «To Reach A New Structure For Optimal Research and Methods» ist Programm. 2022 wurden die beiden ersten TRANSFORM-Projekte lanciert.
Was sind die Themen?
Elisabeth Stark: Beide Transform-Projekte beschäftigen sich mit sehr aktuellen Themen. Im One-Health-Projekt geht es unter anderem um Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Die Frage, wie die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammenhängt, beschäftigt viele Forschende an der UZH, aber bisher es gab keinen Ort, um dieser Frage gemeinsam mit einem umfassenden Ansatz nachzugehen. Die Vetsuisse-Fakultät hat nun die Initiative ergriffen, gemeinsam mit der Medizinischen und der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät einen solchen Ort zu schaffen: Das Institute of One Health Research. Mit dessen Gründung beschreiten wir in der Schweiz Neuland. Und genau das ist der Zweck der Förderlinie TRANSFORM: Wir wollen schnell auf neuere Entwicklungen in der Forschungslandschaft reagieren und die Zusammenarbeit in zukunftsweisenden Bereichen nachhaltig fördern. So auch im zweiten TRANSFORM-Projekt: Hier geht es um den Einsatz von quantitativen Methoden in der Rechtswissenschaft, also um die computergestützte, systematische Sammlung, Aufbereitung und Auswertung von Rechtsdaten. Dazu wird ein Center for Legal Data Science aufgebaut. Die beiden Transform-Projekte erhalten über vier Jahre eine Anschubfinanzierung von insgesamt 2.7 Millionen Franken.
«Wir sind gut aufgestellt, um in einem der vielversprechendsten Entwicklungsfelder der Medizin auf lange Sicht national und international zu reüssieren.»
Direktorin UMZH
Ein starker Schwerpunkt hat sich in den letzten Jahren in der Präzisionsmedizin herausgebildet. Forschende der UZH, der ETH Zürich und der vier universitären Spitäler kooperieren eng auf diesem Gebiet. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Beatrice Beck Schimmer: Wie bereits erwähnt haben sich Forschende der sechs Institutionen schon früh für das Thema Präzisionsmedizin interessiert und die Forschung dazu vorangetrieben. Die Gründung der Universitären Medizin Zürich (UMZH) 2018 hat dann den Weg zu einer engeren Zusammenarbeit auf diesem Gebiet geebnet. Es wurden drei Zentren aufgebaut, an dem sich alle sechs Institutionen beteiligen: Das Comprehensive Cancer Center Zurich, das Tumor-Profiler Center und The LOOP Zurich. Damit sind wir gut aufgestellt, um in einem der vielversprechendsten Entwicklungsfelder der Medizin auf lange Sicht national und international zu reüssieren. Dies auch dank der zusätzlichen Finanzmittel, die wir vom Kanton erhalten.
Eignet sich die Präzisionsmedizin besonders für die Schwerpunktbildung?
Beatrice Beck Schimmer: Ein Grossteil der Präzisionsmedizin arbeitet auf der Grundlage von Daten, deshalb sind die Synergieeffekte bei der Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachbereiche besonders gross – sowohl im klinischen wie im präklinischen Bereich. In der Präzisionsmedizin werden biologische Daten wie beispielsweise Erbinformationen oder Bildgebungsdaten einbezogen, um Entscheidungen für massgeschneiderte medizinische Behandlungen zum Beispiel von Krebs zu treffen. Die Analyse grosser Datenmengen erlaubt es, Muster zu erkennen, wie sich Krankheiten entwickeln und welche Therapien wirksam sind. Pro Person fallen auf einer Intensivstation jeden Tag rund 20 MB an Daten an, dabei handelt es sich zum Beispiel um Werte aus Blutproben, Biopsien oder aus der Magnetresonanztomographie. Allerdings nutzen wir das Potenzial dieser Daten im Moment noch zu wenig.
Woran fehlt es?
Beatrice Beck Schimmer: An einer effizienten digitalen Infrastruktur. Bisher hat jedes Spital sein eigenes Informatiksystem. Die Daten der Patientinnen und Patienten sind nicht kompatibel mit anderen Systemen und können nicht zwischen den Spitälern oder Forschungseinrichtungen ausgetauscht werden. Das ändern wir jetzt: Das Forschungszentrum The LOOP Zurich wird bis 2025 eine Biomedizinische Informatikplattform aufbauen, die Forschungsdaten und Patientendaten in riesigen Mengen zusammenführt. Die Zustimmung der einzelnen Patienten und Patientinnen vorausgesetzt, werden Daten in den vier universitären Spitälern in Zürich homogenisiert und so auf der Informatikplattform so hinterlegt, dass alle beteiligten Institutionen per Suchsystem Zugriff darauf bekommen und mit den Daten forschen können. Mit dieser Informatikplattform könnte Zürich zum nationalen Vorbild für die datenzentrierte Medizin werden.
Wir haben bisher nur über die Schwerpunkt- und Netzwerkförderung gesprochen. Zur Universitären Forschungsförderung gehört aber auch die Personen- und Karriereförderung. Was unternimmt die UZH, um hier die Mittel möglichst nachhaltig einzusetzen?
Elisabeth Stark: Wir wollen, dass exzellente Leute an die UZH kommen und bleiben. Deshalb vergeben wir Assistenzprofessuren in der Regel mit Tenure Track – also mit Aussicht auf langfristige Anstellungen. Viele Assistenzprofessuren werden im Zusammenhang mit interdisziplinären Forschungsschwerpunkten geschaffen.
Ausserdem wollen wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs vielfältigere Karrierewege als bisher ermöglichen und ihnen ausreichend Zeit für die wissenschaftliche Qualifikation bieten. Im Rahmen des Programms «Next Generation@UZH» haben wir deshalb 2022 die Anstellungsbedingungen für Assistierende und Doktorierende transparenter gestaltet und universitätsweit einheitlich geregelt. Dies betrifft insbesondere die «Protected Time», die der akademische Nachwuchs für die eigene Forschung nutzen kann. Zudem haben wir für Postdoktoranden und Postdoktorandinnen, die in der Wissenschaft bleiben wollen, aber nicht unbedingt eine Professur anstreben, einen neuen Stellentyp geschaffen, den «Lecturer». Lecturer-Stellen sind gut ausgestattet, unbefristet und unabhängig, und sie erlauben Nachwuchsforschenden eine langfristige akademische Tätigkeit mit Fokus auf Lehre oder Forschung. Für Nachwuchsforschende ist der neue Stellentyp eine attraktive alternative Karriereoption, und für die Institute ist er eine Chance, wertvolles Wissen und Know-how auf lange Sicht aufzubauen und hochqualifizierte Leute an der UZH zu halten.